Die Parkanlage im Norden von Riedlingsdorf wird vom Volksmund
oft noch als „Reitschule“ bezeichnet. Sie diente am 11. Februar 1934 als
Ausgangspunkt für den seltenen Brauch des „Blochziehens“. Dieses Datum ist insofern bemerkenswert, weil in den Morgenstunden des folgenden
Tages in Linz im Hotel Schiff die
ersten Schüsse des Österreichischen Bürgerkrieges fielen, dem rund 350 Menschen
zum Opfer fielen[1] und der eine Entwicklung einleitete, die direkt in die Menschheitskatastrophe
des 2. Weltkrieges mündete.
Das Blochziehen selbst wurde und wird in burgenländischen
Ortschaften in der Regel dann durchgeführt, wenn es im Fasching keine Hochzeit
gab und sich die Burschen und Mädchen an diese Herausforderung herantrauen, die
immer ein Großereignis darstellt, weil es stets viele Besucher aus nah und fern
anlockt.
So auch in den Jahren 1934, 1964 und 1994 als in
Riedlingsdorf der Bräutigam und seine Waldbraut, ein festlich geschmückter
Baum, begleitet von vielen weiteren Fuhrwerken, auf denen meist Szenen aus dem
aktuellen Zeitgeschehen dargestellt wurden, durch die Ortschaft zogen. Das
Blochziehen von 1934 wurde durch den Pinkafelder Fotografen Franz Karner auf
rund 30 Bildern festgehalten, von denen einige im Internet auf Wikimedia abrufbar
sind. Vom Blochziehen 1964 wurde seinerzeit auch ein Film angefertigt, der
unter Umständen in dem einen oder anderen Riedlingsdorfer Haushalt noch
erhalten sein könnte.
Abbildung 1: Blochziehen 1934 - ein geschmückter Wagen bei der Reitschule (Bildquelle: commons.wikimedia.org/Urheber: Foto Karner/Lizenz: CC-BY-SA)
Abbildung 2: Blochziehen 1964 - Straßenszene ungefähr auf Höhe der Volksschule (Bildquelle: Fotoarchiv Philipp Bundschuh)
Abbildung 3: Blochziehen 1964 - Straßenszene ungefähr auf Höhe der Tischlerei Spiegel (Bildquelle: Privatsammlung Martin Übelher, Fotograf Ebner)
Abbildung 4: Blochziehen 1964 (Bildquelle: Privatsammlung Martin Übelher, Fotograf Ebner)
Abbildung 5: Blochziehen 1964 - Bräutigam Walter Reusser (Bildquelle: Privatsammlung Martin Übelher, Fotograf Ebner)
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Ein Riedlingsdorfer Brauch, der einzigartig im Burgenland ist und der sich bis in unsere Zeit erhalten hat, ist das sogenannte „Hoarsammeln“. Am Sonntag vor der Hochzeit wird dabei die Braut meist von einer verheirateten Verwandten, oft ist das Taufpatin, durch die Ortschaft geführt und bittet um ein „Kranzelgeld“, das als Startkapital für das Brautpaar dienen soll. Der Begriff „Hoarsammeln“ für diesen Brauch geht auf jene Zeit zurück, als man statt Geld noch gehechelten Flachs bekam aus dem man dann in weiteren Arbeitsschritten hat Leinen erzeugen können.
Die Braut und ihre Begleitung werden in manchen Haushalten nicht nur bewirtet („gostiert“), es werden ihnen manchmal auch Streiche gespielt, die sie bei ihrem anstrengenden Gang durch die Ortschaft behindern. So werden sie manchmal für kurze Zeit in einem Haus eingesperrt oder der Braut wird ein Besen vor die Füße geworfen. Hebt sie ihn nicht auf und kehrt damit, gilt sie als faule Braut.[2]
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Weitere Hochzeitsbräuche, die sich bis heute erhalten haben, sind das „Viaziagn“ (Vorziehen) und das „Maschkern“. Bei beiden Bräuchen tritt eine falsche Hochzeitgesellschaft mit Braut und Bräutigam und verkleideten Hochzeitgästen auf. Beim Viazigan wird die Straße gesperrt und die Hochzeitsgesellschaft wird mit Wein bewirtet. Das richtige Brautpaar muss manchmal auch seine Geschicklichkeit bei einer gestellten Aufgabe beweisen. Die Viaziga werden vom Brautpaar und den Hochzeitgästen mit kleinen Geldspenden belohnt.
Abbildung 6: Die Viaziga, meist als Hochzeitgesellschaft verkleidete Burschen sperren die Straße (Bildquelle: commons.wikimedia.org/Urheber: Schranz Gustav-Marktgemeinde Riedlingsdorf/Lizenz: CC-BY-SA)
Beim „Maschkern“ besucht die falsche Hochzeitgesellschaft die richtige im Gasthaus, in dem die Hochzeitsfeier stattfindet. Es wird ein Geschenk überreicht, allerhand Ulk getrieben und getanzt und auch hier gibt es für die Maschker Geldspenden vom Brautpaar und den Hochzeitsgästen.
Ein Brauch im Zusammenhang mit der Hochzeit, den es dieser Form so nicht mehr gibt, war das sogenannte „Anwerfen“. Hier wurden Steine oder alte Töpfe gegen die Haustore des zukünftigen Brautpaares geworfen, wobei hier oft auch viel Unmut entstand, weil es dabei immer wieder zu Beschädigungen kam. Heute wird stattdessen meist in der Nacht vor der Hochzeit etwas „angestellt“, nämlich ausgestopfte Figuren aufgestellt, Transparente aufgehängt und Stroh oder anderes schwer zu entfernendes Material verstreut.[3]
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Ein Brauch, der gleich am ersten Tag eines neuen Jahres ausgeübt wurde, war das „Neujahrwünschen“. Hier gingen die Kinder zu Verwandten oder in die Nachbarschaft und wünschten ein gutes Neues Jahr. Als Glücksboten erhielten sie für die guten Wünsche meist ein kleines Geldgeschenk.
Der Vorläufer der heute oft üblichen Kindermaskenbälle war der sogenannte „Mingerlbursch“, ein Kinderball, der im ehemaligen Gemeindehaus abgehalten wurde. Die „Mingerl“ (= kleine Mücken) tollten dabei ausgelassen herum (= „burschen“).
Bälle, früher meist vom ASKÖ Riedlingsdorf, dem MGV Riedlingsdorf oder der Freiwilligen Feuerwehr veranstaltet, liefen früher meist nach einem fixen Ritual ab. Im Tanzsaal spielte eine Kapelle, vor dem 2. Weltkrieg zum Beispiel die „Eishacker Kapelle“, und um die Tanzfläche herum saßen mehrreihig die älteren Frauen des Dorfes, während deren Ehemänner zuhause geblieben waren. Am Saaleingang standen aufgereiht die Mädchen und warteten bis aus dem sogenannten „Bubenzimmer“ ein junger Mann kam und sie zum Tanz aufforderte. Missfiel einer der anwesenden Mütter die Partnerwahl, dann konnte es schon mal vorkommen, dass sie dazwischenging und das Paar zu trennen versuchte.
Abbildung 7: Riedlingsdorfer Frauen saßen rund um die Tanzfläche (Bildquelle: Fotoarchiv Philipp Bundschuh)
Am Karsamstag wurden und werden wie überall im Burgenland auch in Riedlingsdorf Osterfeuer angezündet. Dazu wurden in den Wochen vor Ostern an bestimmten Stellen in der Ortschaft Holz- und Reisighaufen zusammengetragen und aufgeschichtet. Je näher das Osterfest rückte umso wichtiger war es den eigenen Holzhaufen zu bewachen, weil ansonsten Burschen aus anderen Teilen der Ortschaft oder aus den Nachbarortschaften das Osterfeuer als Schabernack schon mal anzündeten. Eine Unart beim Osterfeuer, die es in Riedlingsdorf eine Zeit lang gab, war das sogenannten „Anrußanern“, wobei man seine Hände bei verkohlten Holzstücken mit Ruß schwärzte und dann versuchte anderen Kindern diesen ins Gesicht zu schmieren. Es war daher immer ratsam bei den Osterfeuern nicht unbedingt seine beste Kleidung anzuziehen. Heutzutage braucht man hingegen keine Angst mehr zu haben, dass man als Rauchfangkehrer von einem Osterfeuer heimkehrt. Im Gegenteil, heute wird das Osterfeuer von den Organisatoren meist dazu genutzt, dass man den Besuchern durch den Verkauf von Getränken und Speisen den Besuch so angenehm wie möglich gestaltet und so natürlich auch die eigene Kasse etwas aufbessert.
Abbildung 8: Besucher des Osterfeuers 1958 (Bildquelle: commons.wikimedia.org/Urheber: Schranz Gustav-Marktgemeinde Riedlingsdorf/Lizenz: CC-BY-SA)
Gleich am nächsten Tag, dem Ostersonntag, findet auf dem Riedlingsdorfer Ortsfriedhof um sechs Uhr morgens die sogenannte Auferstehungsfeier statt, bei der ein Vertreter der evangelischen Kirche mit den meist zahlreich erscheinenden Gläubigen in Gedenken an die Auferstehung Jesu Christi eine halbstündige Feier zelebriert.
Am Nachmittag des Ostersonntages war es früher üblich, dass man auf den Kalvarienberg ging, auch um dort sein Geschick zu beweisen, indem man Ostereier die Wiesen hinunterrollen ließ und dabei trachtete das eigene Ei nicht zu zerbrechen. Anschließend kehrte man bei der Familie Scheibelhofer ein und traf dort auf Bekannte und Freunde.
In Riedlingsdorf, das früher den Ruf als „Gärtnerin des südlichen Burgenlandes“ innehatte, wurde am 15. Juni immer der sogenannte „Pflanzerkirtag“ veranstaltet, auf dem die Riedlingsdorfer Bäuerinnen, die „Zwiebelweiber“, ihre Produkte feilboten. Durch die Umwälzungen der letzten Jahrzehnte in der Landwirtschaft und im Arbeitsalltag der Ortsbewohner sind die Zwiebelweiber ebenso verschwunden wie die Beete auf der „Pfanzsteigen“, jenem kleinen Ried westlich des Kindergartens, wo viele Familien früher ihr eigenes Gemüse zogen.
Auch das berühmte Riedlingsdorfer Waldfest, das zuerst von der Freiwilligen Feuerwehr und dann vom ASKÖ Riedlingsdorf über Jahrzehnte hinweg veranstaltet wurde, ist nur mehr eine Fußnote der Geschichte.
Und gingen früher am 5. Dezember die Kinder als Krampus oder Nikolaus durch die Ortschaft, so geht man heutzutage eher am 31. Oktober zu Halloween von Haus zu Haus um mit dem Ausdruck „Süßes oder Saures“ mehr oder weniger höflich um Süßigkeiten zu bitten. So hat der Zeitgeist auch vor vielen Riedlingsdorfern Bräuchen nicht Halt gemacht…
[1] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Februark%C3%A4mpfe_1934,
abgerufen am 26.12.2021
[2] Vgl. 660 Jahre Riedlingsdorf, Seite 99 bis 102
[3] Vgl.
660 Jahre Riedlingsdorf, Seite 99